Als ich mit Yoga angefangen habe, war das einzige Mantra, das ich kannte, das Wort „Om“. Ich hatte damals keine Ahnung, was das bedeuten sollte. Aber das ist wohl das einzige Allgemeinwissen, was jeder von uns bezüglich Yoga teilen kann: Im Yoga singt man „Om“. Wieso, weshalb, warum? Egal, das gehört dazu. Ich fand das in meinen Anfängen im Yoga sehr komisch und konnte mich leider nicht mit diesem Urklang anfreunden. „Om“, der Klang, der alles verbindet, hat damals nichts in mir verbunden…
Und somit freundete ich mich mit meinem Lehrer Jeppe an, der für sich eine andere Art gefunden hat, um eine Body-Mind-Connection zu finden, und somit den Gesang aus dem Yoga zu eliminieren. Das war fantastisch für mich. Keine komischen „Oms“, keine unverständlichen Sanskrit-Poesien.
Als ich zurück nach Berlin kam und mit anderen Ashtanga-Yoga-Lehrern zu arbeiten anfing, versuchte ich den Lehrern klarzumachen: „Hey, bitte verschon mich damit! Ich bin echt nicht für Mantren gemacht. Ich singe nur in Sprachen, die ich verstehe.“ Es kam mir richtig albern vor, dass so viele Leute das Anfangsmantra im Ashtanga vor sich her singen, ohne zu wissen, was die genaue Bedeutung ist:
Om
vande gurunam caranaravinde
sandarshita svatma sukha va bodhe
nih sreyase jangalika yamane
samsara halahala mohasahantyai
abahu purushakaram
shankacakrasi dharinam
sahasra shirasam svetam
pranamami Patanjalim
Om
Und? Was hast du davon verstanden?
Als ich bei Konstanze Seifert 2018 zum ersten Mal in die Shala kam, haben wir irgendwann über mich und meine Mantra-Aversion gesprochen und sie sagte ganz enthusiastisch: „Ach, sing doch einfach mit. Es geht nicht ums verstehen, es geht ums fühlen!“ Ums fühlen? Diese Idee kam mir schon etwas logischer vor. Was man nicht durch pure Logik versteht, dass muss durch das Herz oder andere Organe gehen. Und so begann ich langsam, Mantren mitzusingen. Konstanzes Enthusiasmus für Mantren hat mich seitdem fasziniert. Was sieht diese Frau darin als nährwertig, was ich nicht sehen kann? Sie strahlt für mich eine Leichtigkeit beim Singen aus, sodass ich die Mantren einfacher als Teil der Praxis akzeptieren und mit offenem Herzen reinlassen kann, auch wenn ich nicht weiß, wofür sie gut sein sollen. Sie singt nie mit Harmonium, sondern lässt einfach nur die Stimmen klingen. Aus diesem Grund, wollte ich wissen, wie Konstanze Mantren sieht und was sie für sie bedeuten. Heraus kam eine viel pragmatischere Sicht, als ich jemals vermutet hätte:
Jeder Yogi fängt mal klein an…
Konstanze hat mit ca. 20 Jahren mit Yoga begonnen, als ihre Freundin aus einer längeren Indienreise nach dem Abi zurückkam und ihr einfach mal zeigen wollte, was sie so in Indien gelernt hatte. Auch wenn es keine richtige Yoga-Sequenz war, was die beiden praktizierten, fand es Konstanze „irgendwie gut“, und so hatte sie sich zweimal die Woche regelmäßig mit ihrer Freundin vor der Uni getroffen, um „Yoga“ zu machen. Die beiden fingen hier und da an, Unterricht zu nehmen, und irgendwann begann Konstanze, ihren Unifreunden einfach etwas Yoga zu zeigen. Ihr Lebensfokus richtete sich plötzlich immer mehr auf das Yoga, sodass alle ihre Jobs dazu dienten, sie in diesem Bereich weiter zu bringen und sie nicht von ihrer Practice abzuhalten. In dieser Zeit war Berlin noch nicht so vollgepackt mit Yoga-Unterricht-Optionen und ich bin mir sicher, dass ihre Freunde einen Heidenspaß damit hatten, Yogapositionen von Konstanze beigebracht zu bekommen.
Mit Dena Kingsberg öffnete sich die wundersame Tür der Mantren
Obwohl Konstanze bereits die Ashtanga Mantren in Berlin bei ihren Lehrern aus der Yoga-Praxis, Nicole Verheyden und Peter Greve, gesungen hatte, folgte ihre erste „Wow“-Erfahrung mit ihrer aktuellen Lehrerin Dena Kingsberg. „Es kam einfach direkt in mein Herz rein und ich konnte danach nur noch heulen“, erzählte mir Konstanze. Nach dieser Erfahrung und nach einigen Workshops mit Dena entschloss sich Konstanze, eine dreijährige Ausbildung bei Dena in Australien zu machen, in der sie je drei Intensivmonate pro Jahr mit Dena hatte. In dieser Zeit merkte sie, wie die Mantren einfach in sie reinflossen. Es wurde in der Ausbildung jeden Morgen gechantet – vedische Mantren am Morgen und die Pantajali Sutras am Nachmittag. „Beim Singen ist mir immer total heiß geworden, aber nicht, weil es anstrengend war, sondern weil es durch mein ganzes System ging.“ Konstanzes inneres Feuer wurde durch die Mantren geweckt und sie nahm die Practice der Mantren auch schnell in ihren eigenen Unterricht auf. In Denas Ausbildung bekamen ihre Schüler außerdem wöchentlich Unterricht bei einem professionellen Sufi-Sänger. Dieser Unterricht war durch die einzigartige Stimme und das Ausleben der Musik des Musikers für alle Schüler sehr besonders und führte sie zu dieser musikalischen Verbindung im Yoga.
Die Power der Mantren
Mantren singen ist Yoga. Für Konstanze ist das Chanten eine richtige Praxis geworden. Auch wenn es knapp im Alltag wird, dann bringen zehn Minuten Chanten bereits Klarheit und Ruhe in den Geist. Die körperliche Praxis muss nicht mehr obligatorisch damit verbunden werden. Beide Ansätze haben einen reinigenden Effekt. Fokus und Energie sind auch beim Chanten gefordert. „Ich muss immer schauen, wie viel Zeit und Kraft ich habe und was der Tag und die Gegebenheiten fordern. Wenn zum Beispiel der Fokus auf meiner Asana-Praxis liegt, dann kann ich danach nicht mehr viel chanten. Das wäre dann zu viel für den Geist und auch für den Körper. Es sind ja nicht einfach nur Lieder, die man singt, sondern diese Lieder bringen dich in einen bestimmten Zustand. Aus diesem Grund muss ich zuvor genau schauen, wie ich meine Kraft einteile.“
Dabei hat die Suche nach dem tieferen Verständnis von Mantren bei Konstanze nicht nur Erfolge gebracht, sondern sie auch etwas vom Singen entfernt. Im Privatunterricht einer bekannten Lehrerin für Vedisches Chanten wurde ihr Interesse eher reduziert, da sie nicht daran interessiert war, nach der Perfektion im Chanten zu streben. Das Lernen der Regeln und der Struktur dieser Reinigungsform war zwar für Konstanze eine gute Schule für Aussprache und Tonalität, losch aber ihre Leidenschaft zum Chanten.[KS5] Es musste erst die weltbekannte Lehrerin Nitya Mohan aus Indien in ihr Leben treten , um ihr die Freude und die Verbindung zum Chanten wieder näherzubringen. Sie gab ihr Raum, sich zu entfalten und Fehler zuzulassen. Über ihre Yogalehrerin sagt sie jedoch: „Dena hat mir die Welt des Chantens erst einmal geöffnet. Aber meine Lehrerin im Chanten ist sie nicht. Dafür muss ich noch meinen Lehrer suchen.“ Dies könnte zukünftig Nitya werden, gibt Konstanze.
Mantra-Einweihung und andere Traditionen
In bestimmten Yogaformen ist die Mantra-Einweihung „(…) im Yoga klassischerweise der Beginn des ernsthaften spirituellen Weges oder der Beginn einer neuen Stufe des ernsthaften spirituellen Weges. Die Mantra Einweihung drückt aus, dass man es wirklich ernst meint mit der spirituellen Praxis, dass man das Stadium des Ausprobierens hinter sich gelassen hat und wirklich ernsthaft praktizieren will.“ Man verpflichtet sich zum täglichen Praktizieren seines eigenen Mantras, zu dem man eine besondere Verbindung spürt. Eine Mantra-Weihe hat Konstanze nie gemacht. Sie sucht überhaupt nicht nach „ihrem“ Mantra. Ihr Mantra ist das, was gerade zur aktuellen Situation passt. Sie spürt, was sie momentan für sich benötigt und was sie unterstützen kann. Ihrer Meinung nach funktioniert die Mantra-Weihe in der heutigen Welt überhaupt nicht mehr. Früher hat ein Schüler sein Mantra von seinem Lehrer nach Jahren der Lehre bekommen. Der Lehrer kannte die Essenz des Schülers und wusste, welches Mantra zum Geist seines Schüler passen würde. Aber heutzutage ist die Welt so vielschichtig und nicht jedes Mantra, dass für eine spezifische Situation gedacht ist, ist auch für den Menschen passend, der in dieser Situation ist. „Mantren-Singen ist nichts Statisches“, meint Konstanze, „Es ist in Bewegung, wie auch dein Inneres. Meine Idee vom Mantren-Singen ist, dass sie mich wieder in die Balance bringen soll. Dafür sind zum Beispiel Shanti-Mantren super.“ Trotzdem ist ihre Wahl des aktuellen Mantras nicht unwillkürlich, sondern gut durchdacht. Auch wenn die Mantren eher „zu ihr kommen“, als dass sie sich aktiv für eins entscheidet, beschreibt Konstanze ihre Wahl so: „Auch wenn ich im Mantra-Gesang organisch entscheide, was ich singe, versuche ich trotzdem, soweit es geht, Strukturen und Regeln zu beachten. Ich mache nicht einfach „irgendwas“, sondern habe meine Rahmenbedingungen und meine Struktur, die mir sehr wichtig sind. Die Wahl des Mantras sollte aber auf meine Bedürfnisse antworten. Zum Beispiel: Was braucht auf meiner Reise mein Körper und mein Geist zu diesem Zeitpunkt? Darauf muss ich mich konzentrieren. Es hat eine Sinnhaftigkeit und ist nicht beliebig nach Laune.“
Ich wünschte manchmal, dass auch mich die Kraft der Mantren packen könnte. Aber wie es so ist mit den tieferen Dingen im Leben: Es kommt, wenn du soweit bist. Dann wird dies auch für mich der richtige Zeitpunkt sein. Alle Anstrengung wird wahrscheinlich vergebens sein, wenn das Motiv nicht vom Herzen kommt. Auch Konstanze fühlt sich noch nicht als große Missionarin von Mantren. Sie möchte bei ihren Schülern einfach das Interesse für das Thema wecken und ihnen die Möglichkeit geben, etwas zu fühlen. Sie ist selber noch auf ihrem Weg des Chantens. Trotz aller Mantra-Liebe hat auch Konstanze ihre Aversionen im Gesang: „Mit Kirtan-Events kann ich leider gar nichts anfangen. Ich finde es manchmal so kitschig. Es sind wirklich tiefe Themen in den Mantren und es wird einfach auf eine seichte Shanti-Ebene gebracht. Bei solchen Event-Einladungen bleibe ich dann doch lieber zu Hause.“
Da fühle ich mich ja gleich besser, als Mantra-Banause.