Die Yogalehrerin – Das verrückte Huhn

Viktoria Renpenning Weisheiten Leave a Comment


Manchmal frage ich mich, wie es eigentlich sein kann, dass ICH Yogalehrerin geworden bin. Ok, einerseits kann sich heutzutage jeder Yogalehrer nennen, wenn er*sie einen Yogalehrer-Lehrgang erfolgreich absolviert hat. Aber eine andere Frage ist, ob dich deine Schüler auch als kompetente*n Lehrer*in sehen und von deinem Unterricht zehren können. Ich behaupte, dass ich dies von meinen Schülern schon einmal gehört habe. 

Und selbst ich als Yogalehrerin, die sicherlich von einigen Schülern als ausgeglichen und ruhig empfunden wird, kann über mich sagen: Die Balance in meinem Alltag zu behalten, ist für mich ein Meisterwerk!

Wer mich nur als Yogalehrerin kennt, der weiß, dass ich zweimal die Woche Yogaunterricht gebe und versuche, in diesen insgesamt vier Stunden in der Woche (Yoga Dance ist hier nicht inbegriffen J ) meinen Schülern, wie auch mir selber, wieder etwas Gleichgewicht, ein Stück mehr „zurück zu deinem Herz und deinem Bauchgefühl“ mitzugeben. Manchmal bin ich vor dem Yogakurs absolut unter Strom und der Kurs bringt mich und mein Wesen wieder zurück und erdet mich, manchmal bin ich absolut müde und die Berührungen und Korrekturen an meinen Schülern geben mir wieder Energie. Nicht nur die Schüler nutzen mich, um wieder zu sich zurückzukommen, sondern es ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen. 

Warum bin ich ein verrücktes Huhn oder warum fühle mich als solches? Naja, wenn man in eine Familie von Workaholics und chronisch kompetitiven Menschen reingeboren wurde, dann ist es wohl nicht anders zu erwarten, dass man selbst zum Workaholic wird und alles gleich zum Wettkampf machen muss bzw. Perfektion erwartet wird. Manchmal macht es mich schon nervös, wenn Leute Karten spielen wollen, weil ich Angst habe zu verlieren. Das bedeutet noch lange nicht, dass ich ein Gewinner-Typ bin. Ich bin ein verrücktes Huhn, weil ich Tanzen liebe, gerne Musik mache und meine Songs schreibe, viele Freunde sehen möchte, für die ich keine Zeit habe und von denen auch noch sehr viele im Ausland leben und ich nun ohne hohe CO2-Emission versuche, sie immer noch regelmäßig zu sehen, weil ich im Büro arbeite, für den Heilpraktiker lerne, gerne zu Alexander-Technik- und Yoga-Workshops gehe und nebenbei noch eine Fortbildung für die zweijährige Yogalehrer-Ausbildung mache, meine Yoga-Familie in Kopenhagen versuche zu besuchen, meine Beziehung zu meinem Freund pflege, Sport liebe, Reisen liebe und gleichzeitig noch Yogalehrerin bin und auch die Buchhaltung dafür erledigen muss…

Früher dachte ich, dass ich all die Sachen, die ich gerne mache, auch immer gleichzeitig machen sollte. Nur dann wäre ich erfüllt. Aber ich war dann eher überfüllt und platt. Spaß wird zur Arbeit und die Fülle des Lebens wird zur chronischen Müdigkeit und definitiv etwas, was weit von Achtsamkeit entfernt ist. Einiges habe ich nun aus dem Kalender gestrichen und mache es nur, wenn ich Zeit habe UND mich danach fühle. Einiges bleibt. Hinzu kommt, dass ich ein Obliger bin – wie es Gretchen Rubin ausdrücken würde. Ich mache es gerne eher anderen Leuten recht als mir selbst (und Obligers sind die Mehrheit von uns!). Und das bedeutet, dass es mir schwer fällt, die Relevanz meiner Taten für mich und mein eigenes Wohlbefinden zu hinterfragen, und die Bedürfnisse anderer Menschen für mich vorgehen. Wer fällt da nicht im Alltag aus der eigenen Balance?

Je älter ich werde, desto mehr akzeptiere ich, dass es ein konstanter Akt ist, sich nicht zu verlieren, bei sich zu bleiben, Achtsamkeit an den Tag zu legen, Liebe zu schenken, sich nicht unnötig aufzuregen und in den Flow der Dinge zu kommen. Es gibt kein „ich finde mein Gleichgewicht wieder, wenn dieses Ereignis vorbei ist“, denn dann kommt schon wieder die nächste Variable, die sich breit macht.

Als ich in Kopenhagen von Jeppe Juhl Christensen Yoga- und Alexander-Technik-Stunden erhalten habe, war ich mir bewusst, dass sich plötzlich etwas in mir sehr stimmig anfühlte. Doch war ich damals noch so fern davon zu verstehen, was dieses „anders“ ist. Meine Schultern waren entspannt, ich konnte tief in meinen Bauch einatmen und bei Savasana war ich in einem Zustand zwischen tief einsinken und schweben. Ich fühlte mich erfüllt und ruhig. Als ich zurück nach Berlin kam, wurde mir erst langsam bewusst, dass ich noch nicht die Mittel hatte, um mich selbstständig und regelmäßig in diesen Zustand zu bringen. Aber ich kann erkennen, dass wir es mehr und mehr brauchen. Sei es mein Bruder, der mich nach Meditationstechniken fragt, weil sein neuer Job ihn nicht abschalten lässt, oder mein Partner, der vor einem Bewerbungsgespräch nachts kaum ein Auge zugemacht hat. Es muss auch nicht immer das Thema Arbeit und Karriere sein, dass uns dazu bringt, nicht durchatmen zu können. Was ist mit Familie, Stress beim Bauvorhaben oder was ist mit mir, die letztens in einem Flugzeug anfing im Kopf Mantras zu singen, um mich entspannen zu können (ich leide leider an einer leichten Flugangst)? Der Stress verfolgt uns und wir machen uns den Stress selbst. Wir machen uns alle – gewollt oder ungewollt – zu verrückten Hühnern. Das Problem ist nur, dass eine Aneinanderreihung von stressigen Variablen zur Konstante „Stress“ wird, die Auswirkungen auf sämtliche Teile unseres Körpers hat, wie z.B. das Immunsystem. 

Nun versuche ich, das vor mir klar zu sehen, was mir gut tut. Einiges davon wird von der Gesellschaft nicht akzeptiert, einiges davon kann man sich vielleicht nicht leisten, wenn man nicht einen stressigen und gleichzeitig gut vergüteten Job hat, und wieder anderes ist schön und stressig zugleich (z.B. Kleinkinder und Babys). Meine Schüler und meine Lehrer erden mich und zeigen mir, so gut es geht, den „entspannten“ Weg. Aber – wenn alle Zügel reißen – bleibt mir manchmal nur noch eines im Kopf, das ich immer wieder von meiner indischen Freundin höre, die absolut nichts mit Yoga am Hut hat: „One step after the other and everything will work out in the right way!“ 


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